Aufstieg

Als meine Freundin vor Jahren eine tiefe Depression hatte, die ihr das Arbeiten unmöglich machte und sie ans Zuhause fesselte, stand ich ihrem Zustand fassungs- und verständnislos gegenüber. Ich selbst hatte noch niemals etwas annähernd so Schlimmes erlebt in meinen damals 35 Lebensjahren.
Es war für mich nicht nachvollziehbar. Sie war hübsch, durchtrainiert, hatte einen sicheren Job, eine Wohnung, ein Auto, Freunde, genug Geld und sie war körperlich vollkommen gesund.
Sie weinte ohne Unterlass, konnte sich kaum selbstständig versorgen und lag den ganzen Tag nur im Bett oder auf der Couch.
Ich war nicht fähig, ihr zu helfen. Mein Unverständnis führte zu Hilflosigkeit und schließlich war ich von ihrer Jammerei nur noch genervt.
Jahre später, als ich in der Küche stand, den Kopf an ein Kastl gelehnt, während mir die Tränen in Strömen übers Gesicht rannen und der Schmerz mein Herz in Stücke riss, bekam ich ein Gefühl dafür, was es heißt, depressiv zu sein. Selbst die kleinsten Dinge verursachen größte Probleme. Du kannst nicht aufstehen, dich nicht bewegen. Du willst niemanden sehen, mit niemandem reden und gleichzeitig schnürt dir die Einsamkeit die Lebensenergie ab. Dein Herz schmerzt, deine Gedanken bohren sich mit unangenehmem Beigeschmack in dein Gehirn.
Meine Kinder waren verzweifelt. Nachdem sie jahrelang eine Mutter erlebt hatten, die alles mit Humor, Geduld und Lethargie genommen hatte, sahen sie sich plötzlich einem psychischen Wrack gegenüber, das nicht mal mehr einkaufen, geschweige denn kochen konnte.
Der Auslöser für meinen Zustand war anfangs nachvollziehbar. Meine große Liebe war zerbrochen. Er hatte mich nach einer wunderbaren Versöhnung und einer herrlichen Zukunftsperspektive aus heiterem Himmel verlassen. „Es tut mir leid, aber ich liebe dich nicht mehr“, waren seine Worte. Dieses Ereignis ließ alle alten, längst verschütteten Wunden aufbrechen und der tiefe Schmerz überrannte mich mit einer Heftigkeit, der ich nichts entgegenzusetzen hatte
Ich konnte mir selbst nicht helfen, also suchte ich Heiler, Therapeuten und Ärzte auf. Ich weigerte mich, Medikamente zu nehmen, wohl wissend, dass ich zu suchtgefährdet war, um einer Gewöhnung zu widerstehen. Ich hätte leicht abhängig von „vorgegaukelten Glücksgefühlen“ werden können. Der Weg der Heilung war lange und schwer und sehr lehrreich.
Ich weiß heute, wie immens wichtig dieser Prozess für meine persönliche Entwicklung war.
Erst wenn du ganz unten angekommen bist, kannst du ganz hoch hinauf.
Kein Therapeut, der nicht selbst eine Depression durchlebt hat, kann dir in einer solchen Lage helfen.
Kein Arzt, der nicht selbst abgrundtiefe Schmerzen erlitten hat, wird dir Erleichterung verschaffen können.
Kein Heiler, der nicht durch die tiefsten Tiefen seines Seins gegangen ist, kann diesen Zustand verstehen und dir die richtigen Tipps und Affirmationen geben.
Heute bin ich dankbar für meinen harten Weg. Nur so war es mir möglich, das Rüstzeug für ein glückliches Leben zu erwerben. Jedes Tal, das du durchschreitest, bringt dich an den Rand des nächsten Berges und der Aufstieg wird von Mal zu Mal leichter.
undercoveragent - 24. Jan, 20:12

Berührend und schön zu lesen....

Danke dass du dich überwunden hast, deine Geschichten zu veröffentlichen! Mehr! Mehr! Mehr!

steppenhund - 3. Apr, 19:58

Es stimmt. Wir können uns die Trauer nicht vorstellen solange wir sie nicht erfahren haben.

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